Resilienz ist für gewöhnlich nicht ungewöhnlich
Das Leben kommt häufig anders als wir es geplant haben. Die Achterbahnfahrt des Lebens geht nie nur bergauf oder geradeaus. Auch die Talfahrten gehören dazu. Erst das ständige Wechselspiel zwischen Höhen und Tiefen macht die Fülle des Lebens aus.
Ein immer gleicher Prozess der Veränderung stoppt die Talfahrten an ihrem Tiefpunkt und bringt die Wende hin zu neuen Höhen. Es geht um den zum Teil schmerzhaften und mühsamen Weg, Unabänderliches anzunehmen, zu akzeptieren, loszulassen und dadurch Neues entwickeln zu können. Das sind Kernkompetenzen der Resilienz.
Love it
Stellen Sie sich vor, alles läuft rund in Ihrem Leben. Sie fühlen sich wohl, sind vielleicht sogar im Flow. Dann sind Sie im Modus „Love it“. Wäre schön, wenn es immer so bliebe. Tut es aber nicht. Manchmal schleichend, manchmal ganz plötzlich startet die Vertreibung aus dem Paradies. Sie geraten auf Talfahrt. C’est la vie! Die Auslöser dafür sind unterschiedlich. Mal mehr, mal weniger heftig.
Sie erhalten unerwartet die Kündigung. Vielleicht bekommen Sie neue Kollegen, mit denen Sie nicht auskommen. Sie entdecken plötzlich, dass Ihr Partner/Ihre Partnerin ein Verhältnis hat. Sie trennen sich nach vielen gemeinsamen Jahren. Eine Freundschaft zerbricht. Ein Ihnen naher Mensch verstirbt. Ein Unwetter zerstört Ihr Haus. Die nächste Finanzkrise vernichtet Ihr Erspartes. Der Arzt diagnostiziert eine schwere Erkrankung. … Und natürlich die vielen kleinen Ärgernisse und Belastungen des Alltags, die den geraden Kurs im Leben beeinträchtigen.
Das alles ist nicht einfach. Plötzlich sind wir auf einer emotionalen Achterbahnfahrt. Wir werden durchgeschüttelt und sehnen uns zurück in unsere alte Komfortzone. Dahin, wo alles gut und angenehm war. Das gibt es aber nicht mehr. Wir müssen uns verändern und neue Wege gehen. Wir müssen vom Modus „Love it“ in den Modus „Change it“ wechseln.
Change it
Zunächst sind wir geschockt. Wir wollen nicht wahrhaben, was passiert ist. „Das kann doch nicht sein!“, „Das werde ich nicht hinnehmen.“, „So einfach kann sie das mit mir nicht machen!“, „Das geht doch nicht!“, „Da werde ich gegen angehen!“, „Der Idiot!“, …
Wir setzen dann alles daran, zu retten, was einmal war. Wir versuchen, die Umstände oder andere Menschen zu ändern und sind mit unseren Gedanken im Problem gefangen: „Das kriegen wir wieder hin!“, „Der wird schon wieder einsichtig werden!“, „Du musst aber auch mal!“, „Kannst du endlich mal …!“, „Es muss doch irgendwie wieder funktionieren!“, „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird!“…
Der Kampf um den Erhalt des Arbeitsplatzes verläuft dabei nicht anders als der Kampf um die große Liebe. Wir halten fest und klammern. Wir suchen Schuldige und machen uns zum wehrlosen Opfer. Das ist zunächst einfach, aber nicht hilfreich.
Lassen sich die äußeren Verhältnisse nicht ändern, bleibt uns noch ein Perspektivwechsel. Wir können unsere Einstellung zum Geschehen ändern. Wir können Chancen im Debakel suchen, die Dinge umdeuten und eine andere Sicht einnehmen, oder unsere Interpretation und Wertung hinterfragen: „Ist es wirklich so?“, „Wie kann ich es auch anders sehen?“, „Was ist der mögliche Nutzen der Situation?“, „Welche Chancen eröffnet es mir?“, „Was kann ich daraus lernen?“, „Wer weiß, wozu es gut ist?“ …
Vielleicht haben die neuen Kollegen Kompetenzen, die uns nützlich sind? Vielleicht öffnet uns die Affäre des Partners/der Partnerin die Augen für eigene Versäumnisse. Möglicherweise entdecken wir, wie sehr wir den Anderen lieben und suchen Wege für einen gemeinsamen Neubeginn, anders als vorher? Der Jobfrust kann auch eine Chance sein, sich zu verändern, vielleicht neu zu qualifizieren, so, dass wir endlich tun, was zu uns passt. …
Leave it
Wenn wir aber weder die Verhältnisse noch unsere eigene Perspektive und Einstellung sinnvoll ändern können, müssen wir aufhören zu kämpfen, das „alte Spielfeld“ verlassen und in den Modus „Leave it“ wechseln. Das bedeutet Trennung, Kündigung, Umzug, Abschied, Unternehmensauflösung, … Das tut weh, verunsichert und bringt das eigene Selbstvertrauen ins Wanken. Wir erleben nicht selten depressive Phasen, fühlen uns einsam, zweifeln an uns selbst, … Das ist das Tal der Tränen. Da müssen wir durch mit allem Schmerz, der damit einhergeht. Alte Sicherheiten gehen verloren. Deshalb gehört auch Angst dazu. Diese Gefühle wollen gelebt werden. Nur dann können wir sie verarbeiten und auch emotional die „Nackenschlägen“ des Lebens annehmen, akzeptieren und loslassen. Das ist nicht Flucht, sondern die konstruktive Gestaltung eines Neuanfangs.
Dieser Prozess kann unterschiedlich lange dauern. Je nachdem, um was es geht, wie tief die Wunden sind, wie flexibel wir im Denken sind, wie geübt und erfahren wir im Umgang mit herausfordernden Situationen sind, … Anfangs haben wir große Selbstzweifel „Wie soll ich das jemals schaffen?“, „Ich kann das nicht!“, „Ich würde ja gerne, aber…“, „Was ist, wenn…?“
Es gibt aber kein zurück. Wir müssen eine Richtungsänderung einschlagen.
Nicht jeder schafft die Kehrtwende alleine. Dann ist professionelle Hilfe sinnvoll.
Ob alleine oder mit professioneller Begleitung, in den meisten Situationen gelingt der Wendepunkt. Dann bekommen wir auf einmal Ideen für neue Lösungen. Wir haben eine Vorstellung, wie es weitergehen kann. Wir entdecken Optionen, die uns im Gefühlsdschungel der Verzweiflung nicht erkennbar waren. Auf einmal entwickeln wir innere Stärke. Wir haben Mut, Neues auszuprobieren und eingefahrene Muster zu verlassen. Nicht alles funktioniert sofort. Rückschläge und Niederlagen gehören dazu. Irgendwann haben wir eine Lösung, die wir in unser Leben integrieren können.
Wir erlangen neue Stabilität. Wir sind wieder im Modus „Love it“ angekommen. Im Idealfall haben wir das Gefühl, uns positiv entwickelt und verändert zu haben. Wir sind innerlich stärker geworden. Das Zutrauen, die nächste Krise auch meistern zu können, ist gewachsen. Unsere Resilienz ist gestärkt.
Das passiert im Leben immer wieder und ist für gewöhnlich nicht ungewöhnlich!