Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Menschsein

Steht die Menschheit auf dem Spiel?

Die möglichen Auswirkungen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz werden allerorts kontrovers diskutiert. Die Entwicklungen werden unseren Alltag, unsere Gesellschaft und Kultur und unser Arbeitsleben auf den Kopf stellen. Und zwar schneller und gravierender als wir es uns heute vorstellen können. An vielen Stellen ist ein blinder Aktivismus entstanden, getarnt unter dem Begriff „Agilität“. Die unabwendbaren Anpassungs- und Veränderungsprozesse brauchen weit mehr als Agilität. Es geht um die Chance der Wiederentdeckung unseres Menschseins als symbiotische Ergänzung zu intelligenten Maschinen und Algorithmen.

Die Meinungen zu den Folgen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz gehen weit auseinander. Das Spektrum reicht von träumerischer Idealisierung bis hin zu katastrophisierenden Untergangsvisionen. DIE ZEIT berichtet in der Ausgabe Nr. 14 vom 28. März 2018 von einem Treffen führender Wissenschaftler zum Thema in Los Angeles. Dort ging es um nicht weniger als die Frage, ob die Menschheit auf dem Spiel steht, wenn die Maschinen immer intelligenter werden. Auch dort war man sich nicht einig über den Ausgang der Entwicklungen.

Agilität lässt sich nicht managen

Als sicher gilt, dass die Entwicklungen unseren Alltag, unsere Gesellschaft und Kultur und unser Arbeitsleben auf den Kopf stellen werden. Und zwar schneller und gravierender als wir es uns heute vorstellen können. Es ist unsere Verantwortung, unser Menschsein und unser Überleben nicht auf’s Spiel zu setzen. Dafür braucht es kluge und weise Veränderungsgestaltung. Stattdessen ist an vielen Stellen ein blinder Aktivismus in Verbindung mit Angst schürenden Erwartungen entstanden. „Wir müssen schnellstens Agile-Management in unserem Unternehmen einführen, sonst haben wir verloren“, eine Aussage, die so oder ähnlich oft zu hören ist.

Agilität lässt sich nicht managen, schnellstens geht’s schon gar nicht und das alleinige Heilmittel ist es auch nicht.

Druck und Angst lähmen Kernkompetenzen der Zukunft

Unter Androhung von Untergangs-Szenarien und unter Zeitdruck werden wir die nötigen Anpassungs- und Veränderungsprozesse nicht bestmöglich für uns gestalten können. Das erzeugt Angst und Druck. Dabei verlieren Menschen ihre Fähigkeit zu Kreativität und Innovationsfähigkeit. Also genau die Kompetenzen, die dringend gebraucht werden, um Wandel zu gestalten. Druck tötet intrinsische Motivation. Angst unterdrückt den Mut, etwas auszuprobieren. Angst und Druck erzeugen Vermeidungsverhalten.

Evolution lässt sich nicht stoppen. Wir können sie nur bestmöglich gestalten. Aber wie?

Es geht um Haltung, Würde und Reife

Wir brauchen Mutmacher, die den Blick auf die Chancen, Erleichterungen und Vorteile der Entwicklungen lenken, ohne die möglichen Risiken aus dem Blick zu verlieren. Zuversicht und Hoffnung sind die besten Wegbegleiter in riskanten, unsicheren und umwälzenden Entwicklungsprozessen.

Menschen reagieren nach psychologischen Mustern. Sie verhalten sich nicht vollständig rational, logisch-analytisch und ausschließlich ökonomisch motiviert. Der Mensch hat neben dem Verstand auch Herz und Seele. Er bewertet erfahrungsbasiert, hat Vorurteile, unterliegt gruppendynamischen Prozessen und ist emotional. Diese Komplexität unseres Menschsein haben wir leider aus dem Blick verloren, insbesondere in der Arbeitswelt. Nur in unserer menschlichen Einzigartigkeit können wir aber Sinn stiftende und Nutzen bringende Symbiosen mit intelligenten Maschinen eingehen. Deshalb sollten psychologisch geschulte Berater und Coaches Teil der Teams sein, die Wandel in Organisationen gestalten.

Es wird immer wichtiger, belastbare und stabile Beziehungen gestalten zu können. Das ist etwas Anderes als Beziehungsmanagement. Beziehungen lassen sich nicht managen. Sie verlangen Wärme, Nähe, Empathie und klare, ehrliche und transsparente Kommunikation. Hier gibt es aus meiner Sicht großen Lernbedarf. Man könnte es schlicht und einfach Herzensbildung nennen.

Nicht alles, was möglich ist, ist dienlich für den Menschen. Wir brauchen reif entwickelte Persönlichkeiten, die multiperspektivisch und komplex denken, Andersartigkeit annehmen, ein „Sowohl-als-Auch“ in ihre Entscheidungslogik integrieren können und mit ihren Emotionen in gutem Kontakt sind. Wir brauchen Menschen, die Kopf, Herz und Bauch integrieren können. Es ist bedauerlich, dass Persönlichkeitsbildung in keinem Lehrplan zu finden ist. Ich wünsche mir die Förderung von Persönlichkeitsentwicklung in Familie, Bildung, Gesellschaft und Unternehmen. Das Konzept der Ich-Entwicklung auf Basis einer über 40-jährigen Forschungsarbeit von Jane Loevinger kann hier als theoretische Basis verwendet werden.

Und es geht um menschliche Würde, ein Grundrecht jedes Menschen. Es geht um die Frage „Wie gelingt es, dass das, was wir machen, mit der Vorstellung von Menschenwürde zu vereinbaren ist?“ Diese Frage vermisse ich in all der agilen Geschäftigkeit. Immer noch ist der Mensch Mittel zum Zweck. Eine Ökonomie, die den Menschen aber als Objekt benutzt, ist würdelos.

Es geht um Haltung, Würde und menschliche Reife. Es geht um Menschlichkeit in einer technisierten Welt.

Im Menschsein liegt unsere Überlebenschance!

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