Wie kommt es dazu, dass einst auf einer rosaroten Wolke des Glücks gestartete Beziehungen im Rosenkrieg enden? Weil Verliebtsein und erste Faszination etwas anderes sind als Liebe! Und weil beim Übergang von der ersten Verliebtheitsphase in die Phase einer wahrhaftigen und tiefen Liebes-Beziehung viele Fehler gemacht werden. Meist sind sie aus eigenen Unsicherheiten, Selbstzweifeln und schädlichen Prägungen gefüttert. Forderungen und Erwartungen an den anderen gehören dazu und sind wahre Beziehungskiller.
Selbstliebe kommt vor Liebe
Die Aussage der Dozentin Angelika Glöckner im Rahmen einer Fortbildung ist bei mir nachhaltig als Erklärung für schwierige Beziehungsverläufe haften geblieben: „Es ist genau so viel Abstand zwischen uns und den anderen, wie zwischen uns und uns selbst.“
Was ist damit gemeint?
Wer sich selbst bedingungslos, wohlwollend und liebevoll annehmen kann, der stillt damit seinen „Hunger“ nach bedingungsloser Zuwendung, Zugehörigkeit und Liebe. Ein Urbedürfnis, das allen Menschen innewohnt. Jemand, dem das gelingt, der kann erwartungsfrei in Verbindung gehen mit anderen Menschen, denn er ist ja bereits „gesättigt“. Jemand, der dagegen sich selbst gegenüber übermäßig zweifelnd, sich andauernd kritisierend, mit sich hadernd, sich ablehnend und nicht liebevoll mit sich ist, der bleibt im „Hunger“. Menschen, die bei sich selbst nicht finden, was sie so dringend benötigen, erwarten oft vom anderen die Erfüllung der eigenen Bedürftigkeit nach Zuwendung, Nähe und Liebe.
„Du musst mich glücklich machen!“, „Ich brauche dich!“, „Ohne dich kann ich nicht leben!“, „Du gibst mir zu wenig Liebe!“, „Du interessierst dich gar nicht für mich.“, „Nie hast du Zeit für mich!“, … . Der Partner wird als Erfüllungsgehilfe des eigenen Glücks benutzt. Wir verlangen von ihm, uns zu geben, was wir in uns selbst nicht finden können.
Erwartungen und Forderungen erzeugen Erfüllungsdruck und damit Stress und Abwehrverhalten. Wer unter solchen Voraussetzungen geben soll oder muss, wird dies nicht aus dem Herzen tun. Eine Beziehung kann nicht glücken, wenn ich dem anderen vorwerfe „Du gibst mir nicht genug!“. Wir machen uns selbst zum bedürftigen und abhängigen Opfer und verhindern damit das notwendige und gesunde Spiel zwischen Nähe und Distanz, zwischen Autonomie und Verbundenheit. Wir verlassen die Augenhöhe des erwachsenen Miteinanders und fallen zurück in meist trotzig anmutende Verhaltensmuster. Wie Kinder, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen. Das Ende sind Streit, Wut, Zorn, Verzweiflung und gegenseitige Vorwürfe. Und irgendwann tritt das, was in der Paartherapie als Drittes bezeichnet wird, hinzu. Eine problematische Veränderung, die die Fortführung der Beziehung gefährden kann. Klassische Beispiele dafür sind: Rückzugsverhalten, nur noch sein „eigenes Ding“ machen, Schweigen oder gar eine Affäre als „Fluchthelfer“ aus inzwischen unerträglich gewordenem „Hunger“.
Perspektive auf das Wohl des Gegenübers richten
Ein Richtungswechsel der gedanklichen Fokussierung kann Wunder bewirken. Anstatt vom anderen zu fordern, was ich selbst so dringend brauche, dem anderen genau das selbst zu geben. Das kann alles verändern. Paare, die sich im Wunsch und Bewusstsein, dass sie miteinander das Leben teilen wollen, entscheiden, einander jeden Tag gut tun zu wollen, gestalten einen wohltuenden Unterschied. Sie richten den Fokus weg vom egoistisch motivierten Blick auf die eigene Bedürftigkeit, hin auf das Wohl des anderen und fragen sich: „Was kann ich tun, damit es dir gut geht?“, „Was für ein Mensch bist du?“, „Was brauchst du von mir?“. Damit verändert sich die Haltung zueinander grundlegend. Das Wohl des anderen steht im Mittelpunkt. Sich von der Frage danach leiten zu lassen, führt auch dazu, selbst zu erhalten, was ich brauche. Wenn jeder gibt, erhält auch jeder. Und noch ein wesentlicher Nebeneffekt wird sich einstellen: Wir werden auch uns selbst wieder mehr wertschätzen und lieben können. Der „Hunger“ und die Bedürftigkeit werden kleiner. Eines bedingt das andere und aus Mangel wird eine Ressource für wohltuendes Miteinander. Der Abstand zwischen uns und uns selbst wird geringer und damit automatisch auch der zwischen uns und dem anderen.
Aus Hungrigen werden Gesättigte!
Zugegeben, keine leichte Aufgabe, sondern eher ein lebenslanger Entwicklungsprozess. Aber ein lohnender. Nicht immer ist dieser Prozess ein Leben lang mit demselben Partner möglich, aber vermutlich mit größerer Wahrscheinlichkeit, wenn wir den Fokus gegenseitig auf das Wohlsein füreinander richten.
Ein kleines Morgenritual kann eine erste konkrete Richtungsänderung im täglichen Verhalten bewirken. Beispielsweise ein Versprechen jeden Morgen: „Ich verspreche dir, dir heute liebevoll zugewandt zu sein und dir guttun zu wollen. Ich werde klar und respektvoll mit dir sprechen, auch dann, wenn ich mich einmal über dich ärgere.“
© Julitta Rössler